9 Jahre und kein bisschen alt: (1.) Nachtrag zum Equal Pay Day

von Eike Harden. In diesem Jahr fand am zum 10. Mal der „Equal Pay Day“ statt. Das soll der Tag sein, bis zu dem eine Frau im Durchschnitt arbeiten müsste, um seit dem 1. Januar des Vorjahres so viel verdient zu haben wie ein Mann durchschnittlich bis Silvester verdient hatte.

Wie so oft bei Statistiken, kann man sich trefflich über Sinn und Unsinn der Statistik streiten. Es gibt aber natürlich eine Realität hinter den Zahlen – und die gilt es einmal zu beleuchten.

Der Hintergrund: Zahlen des Statistischen Bundesamts

Das Statistische Bundesamt bietet zum Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen 2 verschiedene Zahlen, einen „unbereinigten“ und einen „bereinigten“ Wert, der auf englisch „Gender Pay Gap“ heißt und im Sozialwissenschaftler-Deutsch „geschlechtsspezifisches Einkommensgefälle“. Ich glaube, hier haben wir für die Gleichbehandlung das Hauptproblem: Mit so umständlichen Wortungetümen kann man keine gute Presse bekommen! Die beiden verschiedenen Zahlen ziehen natürlich unweigerlich die Frage nach sich:

Wenn es einen bereinigten und einen unbereinigten Wert gibt, was wird denn zwischen den beiden bereinigt? Und wie geht das? – Und: Werden Männer, die Zahlen bereinigen besser bezahlt als Putzfrauen, die Schulklos reinigen?

Die letzte Frage kann ich zunächst mit einem klaren „Ja!“ beantworten. Die andere Frage beantworte ich so: Aus dem bereinigten Wert werden all jene Anteile des Einkommensgefälles herausgerechnet, für die es eine „einfache“ Erklärung gibt. (Eine einfache Erklärung ist für die Statistiker eine, die man mit anderen vorhandenen Zahlen erklären kann.) Konkret gibt es 3 Anteile, die unter den Tisch fallen:

  • Frauen sind öfter in Teilzeit beschäftigt als Männer und deshalb fällt ihr Monatslohn geringer bei gleichem Stundenlohn geringer aus.
  • Frauen sind seltener in Führungspositionen beschäftigt als Männer und in der freien Wirtschaft bedeutet das, dass sie seltener die ganz großen, völlig aus dem allgemeinen Rahmen fallenden Gehälter erhalten.
  • Frauen sind öfter in den „falschen“ Berufen beschäftigt, die bekanntermaßen schlechter bezahlt werden, und verdienen deswegen weniger.

Ohne diese 3 Anteile reduziert sich das Einkommensgefälle um ungefähr 2/3. Die entscheidende Frage ist aber hier: Welche Berechtigung besteht, diese Anteile herauszurechnen? Dazu muss man sie einzeln betrachten.

Teilzeitbeschäftigung

Grundsätzlich kann man aus Statistiken alle möglichen Anteile herausrechnen. Wichtig ist dabei nur, dass man eine verlässliche Zahlengrundlage hat und eine Begründung vorweisen kann, warum für einen bestimmten Zweck dieser Anteil herausgerechnet werden sollte. Die Zahlen dürften da sein – das Bundesamt braucht dazu schließlich nur zu erheben, wie hoch der Anteil der Frauen und der Männer jeweils an allen Lohnempfängern ist, der in Teilzeit arbeitet. Man braucht eine darum bereinigte Zahl, wenn man den Stundenlohn betrachten möchte und nicht den Monatslohn. Für die Frage der Geschlechtergerechtigkeit ist aber nur der Monatslohn wichtig: Wenn Frauen weniger Monatslohn erhalten, erhalten sie auch im Fall einer Arbeitslosigkeit entsprechend weniger Arbeitslosengeld I und sie erhalten im Alter eine entsprechend niedrigere Rente – beides hängt nicht vom Stundenlohn, sondern vom Monatslohn ab. (Was wohl das Arbeitsamt von der Argumentation hielte, man müsse nach dem Stundenlohn Arbeitslosengeld erhalten, weil man schließlich ganztags arbeitslos sei?)

Bei entsprechend schlechterer Absicherung und zugleich niedrigerem verfügbaren Lohn für den Lebensunterhalt muss man festhalten: Die Teilzeitbeschäftigung ist in vielen Fällen etwas, das sich nur verheiratete Frauen leisten können. Es erhöht in vielen Fällen die Abhängigkeit vom Ehemann und verfestigt zudem die unterschiedlichen Rollenzuschreibungen. Attraktiv sind Teilzeitbeschäftigungen entweder für Nachwuchskräfte in der höheren Laufbahn des Öffentlichen Dienstes, die auch bei 3/4 oder sogar 1/2 der vollen Stelle genug verdienen, um einigermaßen über die Runden zu kommen (wie Friseure oder Floristen auf vollen Stellen), oder für Ehefrauen von gut verdienenden Männern, denen es in erster Linie darum geht, überhaupt ein bisschen zu arbeiten und etwas zu verdienen, das sie zur eigenen Verfügung haben. Aber was sollen Alleinerziehende machen?

Führungspositionen

Welchen Grund könnte es geben, Führungskräfte aus der Statistik herauszurechnen? Die darum bereinigte Zahl besagt, um wie vieles weniger Monatslohn ausführende Arbeitskräfte erhalten, wenn sie weiblich sind. Es mag Zwecke geben, bei denen diese Zahl irgendetwas bedeutet – die Geschlechtergerechtigkeit gehört nicht dazu! Es teilt eine zusammengehörende Zahl künstlich entzwei: Dass Frauen in der Privatwirtschaft deutlich seltener in gut bezahlten Führungspositionen sind als Männer ist ein wesentlicher Bestandteil der Lohnungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Zudem dürfte es eine Wechselwirkung mit der vorhergehenden Zahl geben: Es gibt einfach weniger gut bezahlte Führungspositionen für Frauen, die eine Teilzeitbeschäftigung für deren Ehemänner ermöglichen würde – mal ganz davon abgesehen, dass diese Rollenverteilung gesellschaftlich noch immer so geächtet erscheint, dass sie beinahe nie vorkommen dürfte.

Branchenwahl

Der 3. Anteil lohnt einen Blick auf die historische Entwicklung: Er zeigt am deutlichsten, wie es zur Geschlechterungerechtigkeit kommen konnte. Noch in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts durften verheiratete Frauen nur mit Zustimmung ihrer Ehemänner arbeiten. Der Normalfall sollte sein, dass alle Menschen verheiratet waren und Kinder zeugten – Ausnahmen davon war nur den höchsten sozialen Schichten gestattet – und dass dann die Ehefrau sich zu Hause um die Kinder und den Haushalt kümmerte, während der Mann täglich zur Arbeit ging und 8 Stunden (zunächst noch mehr) arbeitete. Unter Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ verstand man damals noch, dass ein Mann auch als kleiner Arbeiter in der Industrie so viel verdienen sollte, dass er davon eine Frau und 2 Kinder ernähren konnte. Das ersparte der westdeutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern, Frankreich etwa, jede Investition in die Kinder-„Betreuung“ vor der Schule. (Man konnte das den Kirchen überlassen – mit zum Teil fatalen Folgen!)

Diese Logik führte dann auch dazu, dass die Industrie im Wirtschaftswunderland extrem gut bezahlte. (Die Autoindustrie bezahlt bis heute besser als der Öffentliche Dienst.) Die Bundesrepublik wurde zu einem „Hochlohnland“, was kein Problem darstellte, solange die Zahl der Erwerbstätigen auf etwa 1/3 oder sogar noch weniger der Wohnbevölkerung beschränkt blieb. Sobald jedoch auch immer mehr verheiratete Frauen arbeiten wollten, musste man einerseits in Kindergärten investieren, um eine Betreuung der Kinder abseits der eigenen Mütter sicherzustellen, und konnte andererseits doch nicht beliebig viele Arbeitsplätze in der Industrie neu schaffen, so dass Frauen in ihrer neu erlangten Berufstätigkeit oft eine der Tätigkeiten übernahmen, die sie zu Hause auch übernommen hätten: Putzen, Kochen, Kinder hüten usw. Die Erwerbstätigkeit von Frauen und die dazu gehörenden schlecht bezahlten Arbeitsplätze entstanden historisch also zusammen. Es gab weitere Entwicklungen wie die Aufnahme von „Gastarbeitern“ und Frauen als Bürokräfte (oft im Angestellten-Verhältnis). Doch das sei hier ausgespart.

Fazit

Es gibt für den bereinigten und für den unbereinigten Wert Anwendungsfälle, aber andere als man naiv annehmen sollte:

  • Der bereinigte Wert sagt aus, wie viel weniger ein Mensch pro Stunde verdient, der als Beschäftigte*r in der Privatwirtschaft abhängig beschäftigt und ausführend tätig ist, wenn ihm das völlig zufällige „Unglück“ widerfahren ist, eine Frau zu sein: Es sind etwa 7 % – so viel erhalten Frauen weniger von ihren Chefs für die exakt gleiche Arbeit! Diese Zahl für sich genommen ist bereits ein gewaltiger Skandal. Jede von Null verschiedene Zahl ist hier eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.
  • Der unbereinigte Wert sagt aus, wie viel weniger ein Mensch jeden Monat verdient, der als Beschäftigte*r in der Privatwirtschaft abhängig beschäftigt ist, und zwar erneut, weil ihm das Unglück widerfahren ist, eine Frau zu sein: Es sind etwa 21 % – so viel erhalten Frauen durchschnittlich unter unseren gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen weniger! Als Politik ist es unsere Aufgabe, eben diese gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern, und zwar so, dass alle ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen verschwinden. Und noch einmal: Jede von Null verschiedene Zahl ist hier eine solche.

Kurzum: Der bereinigte Wert benennt eine Ungerechtigkeit gegen die es anzukämpfen gilt, der unbereinigte 3 weitere: Zusammen also 4 gesamtgesellschaftliche Bedingungen, die es zu verändern gilt für eine gerechtere Gesellschaft! (Ich möchte das durchaus als Aufforderung an den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz verstanden wissen, sein Versprechen von mehr Gerechtigkeit wahr zu machen. Das wird mit uns GRÜNEN gehen, mit seiner eigenen Partei und den Linken wird es vielleicht schwerer – das können die aber von innen besser beurteilen. Mit den Freien Demokraten – so viel kann man jetzt schon sagen – wird das nichts.)