Mietpreisbremse: Warum sie in Winsen nicht gilt

von Eike Harden.

Dieser Beitrag ist eine Ergänzung zum Beitrag von Dienstag. Dort hatte ich in der Einleitung behauptet, der Wohnungsmarkt sei im ganzen Landkreis Harburg „angespannt“. Dabei handelte es sich um einen vermutlich von vielen geteilten, aber dennoch subjektiven Eindruck. Für die Mietpreisbremse ist die „angespannte Wohnungsmarktlage“ jedoch ein rechtswissenschaftlicher Fachausdruck, der in einem Gutachten konkretisiert worden ist. Der Vermieterverband „Haus und Grund“ glaubt manchmal, dass diese Definition noch zu streng ist und somit zu viele angespannte Wohnungsmarktlagen gefunden würden, wohingegen die Meinung unter Mietern eher das Gegenteil ausweist. Nachdem ich das von der niedersächsischen Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten gelesen habe, kann ich nun erklären, warum in Winsen kein so definierter „angespannter Wohnungsmarkr“ herrscht und dementsprechend auch die Mietpreisbremse in Winsen nicht greift.

4 Kriterien

Es gibt 4 Kriterien für einen angespannten Wohnungsmarkt, nämlich

  • überdurchschnittlich stark steigende Mieten,
  • überdurchschnittliche Mietbelastung der Haushalte,
  • unzureichende Neubautätigkeit bei wachsender Wohnbevölkerung,
  • geringer Leerstand bei großer Nachfrage.

Winsen erfüllt „nur“ 2 dieser 4 Kriterien, während Buchholz 3 davon erfüllt und Lüneburg sogar alle 4. Eine genauere Analyse dieser Kriterien kann aber aufzeigen, wo Winsen vielleicht kurz davor steht, weitere Kriterien zu erfüllen und wo es daher auch im Interesse der Vermieter (Wohnungseigentümer) liegen könnte, gegenzusteuern, um eine Erstreckung der Mietpreisbremse auch auf Winsen zu verhindern.

2 erfüllte Kriterien

Winsen erfüllt folgende 2 Kriterien für die Mietpreisbremse: 1. ist der Anteil des Haushaltseinkommens, den Winsener*innen für Miete ausgeben, deutlich größer als im niedersächsischen Durchschnitt, und 2. gibt es nahezu keinen Leerstand im Geschosswohnungsbau. Das Interessante an diesem Teil der Analyse ist, dass Winsen die beiden Kriterien erfüllt, die relativ leicht einsichtig sind und sich aus einer einzigen Zahl ergeben. Insbesondere das 2. Kriterium erfüllt Winsen sogar völlig problemlos.

Um ehrlich zu bleiben, muss man sagen, dass eigentlich die Nachfrage gesondert betrachtet werden müsste und dass die Zahlen aus dem Jahr 2011 stammen. Nichtsdestoweniger kann man vermutlich annehmen, dass Winsen aufgrund seiner Lage in der Metropolregion Hamburg, des eher zurückhaltenden Geschosswohnungsbaus in den letzten Jahren (in den meisten Neubaugebieten sind überwiegend Einfamilienhäuser entstanden) und auch der allgemeinen Entwicklung in Niedersachsen inzwischen eher weniger als mehr Leerstand aufweisen dürfte. Insofern treffen die Aussagen aus unserem Wahlprogramm immer noch zu:

Als Teil der Metropolregion Hamburg leidet Winsen unter zu viel Verkehr und zu wenig preiswertem Wohnraum. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir GRÜNE mehr Wohnraum auch für Bürger*innen mit geringem Einkommen schaffen, weniger Logistik ansiedeln und die Stadt grüner und für den Aufenthalt attraktiver machen.

  • In der Kernstadt setzen wir auf Nachverdichtung durch mehr Geschosswohnungsbau in nahverkehrsgünstiger Lage.
  • [… – es geht um die Bahnhofstraße – …] Dazu sollen alle rechtlichen Möglichkeiten (z. B. städtebauliche Gebote) genutzt werden, um verwahrloste Grundstücke und Gebäude wieder entsprechend zu nutzen.
  • Auch die „2. Reihe“ der Innenstadt (Wall- und Plankenstraße) soll besser entwickelt werden. Dieser Bereich muss zugleich entkernt und verdichtet werden, damit zusätzlicher Raum für innenstadtnahes Wohnen und Gewerbe neu entsteht.

2 nicht erfüllte Kriterien

Aber: Winsen erfüllt die 2 anderen Kriterien nicht: 1. Unzureichende Neubautätigkeit bei wachsender Wohnbevölkerung und 2. überdurchschnittlich stark steigende Mieten. Wie bereits angedeutet handelt es sich dabei um komplexe Kriterien, also Kriterien, die aus mehreren Teilkriterien zusammengestellt wurden.

Zur unzureichenden Neubautätigkeit tragen 3 Einzelpunkte bei. Der 1. ist leicht einzusehen: Wenn deutlich weniger Wohnungen je Einwohner zur Verfügung stehen als im Durchschnitt, ist das ein Hinweis auf einen angespannten Wohnungsmarkt. Und – oh Wunder! – Winsen erfüllt dieses Teilkriterium leicht, denn es standen 2014 sogar weniger Wohnungen je Einwohner zur Verfügung als 2011. Der 2. Einzelpunkt ist ebenfalls gut einsichtig: Wenn man sich die derzeitige Neubautätigkeit ansieht, so wird hier gefragt, wären 2020 immer noch Geschosswohnungen frei? Die Antwort ist seit Neuestem gut bekannt und lautet – wer hätte das gedacht? – Nein! Aufgrund der deutlichen Bedarfsunterdeckung von mehreren 100 Wohneinheiten in Winsen hat der Stadtrat vor Kurzem beschlossen, der vom Landkreis angeschobenen Wohnungsbaugesellschaft beizutreten. Bleibt das 3. Teilkriterium: Der Anteil der Wohnungen, die günstiger anzumieten sind als die „Kosten der Unterkunft“. Winsen liegt hier in etwa im Bereich des niedersächsischen Durchschnitts und die Abnahme ist auch nicht ganz so dramatisch wie anderswo.

Um das noch einmal zusammenzufassen: In Winsen gilt die Mietpreisbremse nur deswegen nicht, weil es zu viele günstig anzumietende Wohneinheiten gibt! Und zu diesen Zahlen tragen die fast 200 Wohneinheiten im Sanierungsgebiet Albert-Schweitzer-Straße bei. Ich habe die genauen Zahlen nicht gefunden, aber halte es durchaus für möglich, dass bei einer ordentlichen Sanierung und einem Angebot der sanierten Wohnungen zu Mietpreisen, die den ortsüblichen Vergeichsmieten entsprechen, Winsen dieses 3. Teilkriterium und damit ein 3. Gesamtkriterium für einen „angespannten Wohnungsmarkt“ erfüllen würde. Ist also die unzureichende Sanierung der Albert-Schweitzer-Straße eine Gefälligkeit für die Winsener Vermieter?

Es gibt aber auch noch das 4. Kriterium, das ebenfalls aus mehreren Teilkriterien zusammengesetzt ist: Das sind die überdurchschnittlich stark steigenden Mieten. Auch hier gibt es wieder 3 Teilkriterien, von denen 2 recht leicht einzusehen sind, die Winsen erfüllt, und ein 3. schwerer zu durchschauendes, das Winsen davor „bewahrt“ hat, unter die Mietpreisbremse zu fallen. Das 1. sind die absoluten Mietpreise, die in Winsen deutlich über dem Durchschnitt liegen. Das 2. Teilkriterium ist der Abstand zwischen Bestands- und Wiedervermietungsmieten. Bei Wiedervermietungen schlagen Winsens Vermieter überdurchschnittlich viel auf den Mietpreis drauf. Das 3. Teilkriterium ist das Wachstum dieses Abstands und das ist in Winsen von 2010 bis 2014 eher langsam verlaufen.

Auch das muss ich zusammenfassen, damit man den Hintergrund richtig versteht: Die Vermieter*innen in Winsen haben auch 2010 schon deutlich überdurchschnittlich – man könnte mutmaßen: unverhältnismäßig – viel auf den Mietpreis draufgeschlagen, wenn sie eine Wohnung an eine*n neue*n Mieter*in weitervermietet haben. Sie tun das immer noch, aber der Rest des Landes eifert ihnen inzwischen nach, wo immer das geht. Nur weil die Vermieter in Winsen schon lange unverschämt teuer wiedervermieten, blieb ihnen die Mietpreisbremse erspart!

Schluss: Die Winsener Sicht

Das ist nicht einfach paradox, sondern ein gewollter Fehler im System: Wenn man die Begründung im Gutachten liest, wird klar, dass gerade diese Werte extrem schwer zu ermitteln sind. Warum die Veränderung des Marktpreises von Wiedervermietungen gegenüber den Bestandsmieten überhaupt ein Indikator für einen angespannten Wohnungsmarkt sein soll, ist mir nicht klar. Der Marktpreismechanismus hängt von Angebot und Nachfrage ab, und diese wurden bereits über andere Kriterien abgeprüft. Warum man dann noch ein nur unter enormen Umwegen und Schwierigkeiten und mit ebenso exorbitanten Unsicherheiten zu ermittelndes Zusatzkriterium hinzunimmt, ist mir wirklich ein Rätsel. Wissenschaftlich gesprochen ist es ein grober Fehler in der Methodik.

Ebensolche methodischen Fehler erkenne ich bei der Auswahl der Teilkriterien. Die Durschschnittsmiete alleine könnte vielleicht ein Indikator für einen angespannten Wohnungsmarkt sein, aber sie kann nichts darüber aussagen, wie stark die Mieten steigen. Der Abstand zwischen Wiedervermietung und Bestandsvermietung kann alleine ein Indikator sein, weil Erhöhungen in bestehenden Mietverträgen deutlich schwerer durchzusetzen sind als bei neu geschlossenen Mietverträgen Steigerungen gegenüber den Vormieten zu erzielen sind. Und das war ja gerade der Grund, aus dem man überhaupt eine Mietpreisbremse einführen wollte! Wenn ein 4. Kriterium notwendig war, das die Notwendigkeit einer Mietpreisbremse abprüfen kann und nicht den „angespannten Wohnungsmarkt“ als solchen – ja, dann wäre es dieses Teilkriterium alleine gewesen. Darauf zu verzichten, wäre aber der methodisch saubere Weg gewesen, weil die Daten für dieses Kriterium zu schwer zugänglich sind.

Wie dem auch sei, es lässt sich eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: In wenigen Jahren, 2019 oder 2020, muss Winsen auf eine Neubewertung dringen, weil dann hoffentlich die ersten Maßnahmen sowohl der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaft als auch der Innenstadtsanierung umgesetzt sein werden. Unter den aktuellen Bedingungen setzt die Mietpreisbremse noch Anreize für eine energetische Sanierung – weil sie eine große Steigerung der Mietpreise bei Wiedervermietung nach der Sanierung ermöglicht, die sonst in Städten, in denen die Bremse gezogen ist, nicht mehr durchsetzbar wäre. Es ist dann aber durchaus möglich, dass Winsen aufgrund der beiden genannten Maßnahmen und allgemeinerer Änderungen auf dem niedersächsischen Durchschnittswohnungsmarkt das 3. Kriterium erfüllt und die Mietpreisbremse auch auf Winsen erstreckt werden müsste. Das wäre erstens im Interesse der Winsener Mieter, könnte aber auch den Eigentümern nützen: Es würde ihnen zusätzliche Anreize bieten, energetisch zu sanieren, durchaus auch in den denkmalgeschützten oder stadtbildprägenden Gebäuden der Altstadt, weil erstens eine Förderung von Land, Bund und Stadt möglich ist und zweitens keine zusätzliche Gefahr bei einer teuren Wiedervermietung danach besteht (die Mietpreisbremse ist in diesem Bereich weitgehend unwirksam, wie wir wissen). Zudem würde die Mietpreisbremse aber bei anderen Gebäuden gelten und so vielleicht die extrem hohen Aufschläge bei Wiedervermietungen senken – gerade außerhalb der Innenstadt – wenn nicht groß angelegt energetisch saniert wird. Ob das von allen gewünscht wird, muss man abwarten, eine Neubewertung der nächsten Landesregierung wäre jedenfalls, so denke ich, lohnenswert.