„Winsen 2030“: Entscheidungen des Stadtrats

Die letzten Entscheidungen des Rates der Stadt Winsen (Luhe) und die Haltung der Gruppe GRÜNE/LINKE erklärt von Eike Harden.

tagte zum letzten Mal im Jahr 2017 der Winsener Stadtrat. Die Sitzung dauerte rund 4 Stunden und es wurden zahlreiche Weichenstellungen getroffen. Die aus GRÜNEN-Sicht wichtigsten sollen hier noch einmal rekapituliert werden. Allerdings lässt sich nicht alles in einem einzigen Blogbeitrag unterbringen. Daher möchte ich mit der Entscheidung zu „Winsen 2030“ beginnen, dem wohl umstrittensten Thema des Abends – neben dem Haushalt, der als nächstes folgen wird.

Darum geht's

Der Stadtrat sollte einen Beschluss über die Inhalte des Rahmenplans, der „Anhänge“ Einzelhandels- und Mobilitätskonzept sowie die Abwägung zu den Äußerungen der Träger öffentlicher Belange (TÖB) treffen. Die Gruppe GRÜNE/LINKE lehnte den Rahmenplan und das Mobilitätskonzept ab, stimmte jedoch der TÖB-Abwägung und dem Einzelhandelskonzept zu.

Der zentrale Punkt dabei war die Frage des Verkehrs in der Innenstadt: Soll die Innenstadt grundsätzlich autofrei sein oder nicht? Das ergab sich auch wegen 2 Änderungsanträgen von uns und der SPD: Wir wollten Tempo 30 auf dem Ring festschreiben, die Sozialdemokraten wollten die Pkw-Durchfahrt durch Nordertor- und Marktstraße bis auf notwendige Ausnahmefälle sperren. Diese beiden Anträge wurden abgelehnt, die von uns abgelehnten Pläne und Konzepte von der Ratsmehrheit der anderen Parteien beschlossen.

Rahmenplan und Mobilitätskonzept haben auch Auswirkungen auf den Einzelhandel und damit das Einzelhandelskonzept, das begründet aber keine Ablehnung, weil das Einzelhandelskonzept vorsieht, eine ganze Reihe von Branchen in der Innenstadt zu konzentrieren und konkurrierende Standorte andernorts im Stadtgebiet zu verhindern – so weit das der Stadt über Baurecht und ohne Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum eben möglich ist. Die Unterscheidung von „zentrenrelevanten“ und nicht „zentrenrelevanten“ Betrieben geschieht unter anderem durch den Bedarf an Transportmitteln. Branchen wie der Möbel- oder Elektrohandel, die sehr große Waren im Sortiment haben, die ein Selbstabholer ohne Kraftfahrzeuge nur selten nach Hause mitnehmen kann, sind beispielsweise nicht „zentrenrelevant“. Das Konzept schlägt also vor, den Einzelhandel mit eher kleineren Waren in der Innenstadt zu fördern und andernorts wenig Möglichkeiten zu bieten, eine weitgehend autofreie Einkaufszone (wie etwa ein Einkaufszentrum mit vielen Parkplätzen einerseits und einer Aussicht ins Grüne andererseits) zu schaffen. Eine Konzentration von Einzelhändlern, die eher kleine Waren anbieten, so dass Menschen hier gut ohne Auto einkaufen können, und die Verhinderung von solchen Konzentrationen außerhalb, ist nach Meinung der GRÜNEN sehr gut mit einer autofreien Innenstadt zu vereinbaren.

Die Abwägung über die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange fiel zwar manchmal etwa zurückhaltend aus. Wir hätten uns beispielsweise gewünscht, dass den Anregungen des ADFC gefolgt worden wäre, statt sie nur zur Kenntnis zu nehmen. Da aber die Abwägungen in den Rahmenplan eingeflossen sind und diese Anregungen auch mit dem Mobilitätskonzept abgeglichen wurden, die wir beide ablehnen, äußert sich dieses Problem wiederum in dem Grundsatz einer autofreundlichen Stadt, die der Rahmenplan und das Mobilitätskonzept vorgeben.

Ein unklarer Punkt war die Rolle des Rahmenplans. Der Planer Herr Schlegelmilch hatte ihn im Planungsausschuss mit einem Pflichtenheft verglichen, während die Vorlage der Stadtverwaltung betonte, dass er keine rechtliche Bindung entfalte, aber den Rahmen für verwaltungstechnische und politische Entscheidungen. CDU-Ratsherr Jürgens hielt den Plan eben nur für einen Rahmen, dem man auch zustimmen könne, weil wichtige Entscheidungen später getroffen werden. Es gab durchaus Teile des Rahmenplans, die unsere Zustimmung hätten finden können, aber in der Erschließungsstrategie und vielen zentralen Aufgaben für einzelne Quartiere wäre der Grundsatz der autofreundlichen und daher menschenfeindlichen Stadt festgeschrieben worden, so dass der Rahmenplan letztlich nicht unsere Zustimmung finden konnte.

Das sagen die GRÜNEN

Wir haben es bei Winsen 2030 ja mit einem ziemlich großen Projekt zu tun. Und nicht alles wird heute beschlossen. Es gibt schon die Förderrichtlinie, die sich an die Grundstückseigentümer richtet, die ihre Immobilien sanieren wollen. Und es wird auch noch ein Preisgericht geben, das einen Entwurf für die Umgestaltung des Straßenraums prämieren wird. Zudem stehen noch viele Aufgaben an, wenn es einmal an die Umsetzung des Rahmenplans geht.

Denn der Rahmenplan hat selbst zunächst keine unmittelbar rechtlich bindende Wirkung. Er geht aber beispielsweise in die Bebauungspläne und die Abwägungen darüber ein. Das bedeutet, dass Rat und Verwaltung jedes Mal, wenn sie auf Grundlage oder über eine Änderung der Bebauungspläne – und wir werden viele davon wieder anfassen müssen – entscheiden, den Rahmenplan berücksichtigen müssen.

Nun sollen wir zusammen mit dem Rahmenplan auch ein Mobilitäts- und ein Einzelhandelskonzept beschließen und zudem gleich danach noch den nächsten Schritt hin zum Preisgericht machen. Diese 4 Dinge sind aber eng miteinander verknüpft: Beide Konzepte sind auch in den Rahmenplan eingeflossen und alle 3 stellen wiederum auch eine Ergänzung zu den Wettbewerbsleitlinien dar. Und deswegen geht es hier um eine Entscheidung zwischen 2 grundverschiedenen Gesamtleitbildern für die Innenstadt.

Uns wurde hier der Vorwurf gemacht, wir GRÜNE und Linke würden – wie auch die SPDwegen einer Kleinigkeit ein tolles Gesamtpaket ablehnen. Zum ersten gibt es noch kein solches Gesamtpaket für den öffentlichen Raum in der Innenstadt, sondern nur einen Vorschlag für einen Rahmen, dem wir Leben einhauchen müssen. Leben werden wir ihm nicht durch den Beschluss alleine einhauchen, sondern auch durch unsere weiteren Beschlüsse und besonders den Städtebaulichen Realisierungswettbewerb. In diesen Vorschlag sind viele Dinge eingeflossen, auf die sich die große Mehrheit der zahlreich beteiligten Winsenerinnen und Winsener einigen konnte.

Zum zweiten aber gibt es keinen Konsens über die Grundausrichtung der Innenstadt. Hier stehen einander 2 Ansätze ziemlich unversöhnlich – wie man gerade bemerkt – gegenüber. Der Bürgermeister hat sich früh festgelegt, wie weit er der – vom Ausgangspunkt der SPD vertreten, meint hingegen, dass Einzelhändler am besten von Laufkundschaft überleben können, die sich dann einstellt, wenn Menschen ihre Zeit gerne in der Innenstadt verbringen.

So kristallisieren sich die 2 Ansätze an einer Frage heraus: Wollen wir Kraftfahrzeuge in der Innenstadt oder nicht? Wir sagen, die Lieferfahrzeuge können ihre Zeit bekommen und über den Bus und einige wenige Sonderfälle kann man ja reden, aber der Grundsatz muss lauten: Motorisierter Verkehr raus aus der Innenstadt und dadurch die Aufenthaltsqualität steigern. Die anderen Seite sagt: Uns geht Erreichbarkeit über alles und deshalb denken wir über eine grundsätzlich autofreie Innenstadt nicht einmal nach.

Wenn wir jedoch eine weitgehend autofreie Innenstadt haben und Ersatzparkplätze am Ring schaffen wollen, dann wird die Bedeutung des Rings noch einmal größer. Und dann müssen wir Tempo 30 einführen. Dass wir das tun, würden wir gerne heute schon festschreiben. Wenn wir das nicht tun – so gut kennen wir die andere Seite inzwischen – wird das Fass sofort wieder aufgemacht und es wird auch gesagt werden: Auf dem Ring ist es so chaotisch, da können wir doch nicht die Marktstraße dichtmachen. Im Gegenteil, Sie werden sagen: Wir brauchen wieder mehr Parkplätze in der Innenstadt.

Wir jedenfalls sind davon überzeugt, dass angebotsorientierte, autofreundliche Innenstädte keine Zukunft haben. Was man mit dem Auto holt, kann man sich auch aus dem Internet liefern lassen, aber um mit Bekannten einen Kaffee zu trinken, wird man noch eine ganze Weile lang aus dem Haus gehen und es nicht beim virtuellen Kaffee in den Sozialen Netzwerken bewenden lassen.

Entscheiden Sie also jetzt, ob sie wollen, dass unsere Innenstadt demnächst tot ist oder nicht!

Hintergrund

Zunächst einige Zitate aus den verschiedenen Plänen, Konzepten und Gutachten, die die Haltung der GRÜNEN stützen:

Im Rahmenplan stehen folgende Sätze, die die menschenfeindliche von der autofreien Innenstadt unterscheiden helfen:

Das bestehende Erschließungskonzept wird beibehalten. … Auch zukünftig ist es notwendig das Rathaus über die Eckermannstraße anzufahren und die Durchfahrung der nördlichen Innenstadt im Bereich Marktstraße und Deichstraße zu ermöglichen. … Durch eine entsprechende Gestaltungssprache kann dem Autofahrer signalisiert werden, dass ein langsames Fahren angebracht ist und er lediglich geduldet wird. (Seite 44)

Der letzte Teil klingt zwar nach dem Grundatz der autofreien Stadt, aber hier kommt es aufs die Nuancen an: Dem Autofahrer „kann“ – nicht einmal „soll“ oder gar „muss“ – angezeigt werden – tatsächlich muss man der Erfahrung nach so etwas durch Schilder „gebieten“ –, dass ein langsames Fahren „angebracht“ ist und er lediglich geduldet wird. Die grundsätzlich autofreie Variante wäre gewesen: „Dem Autofahrer wird durch Verkehrszeichen geboten, den Bereich nicht zu befahren und auf Verlangen eine Ausnahmegenehmigung vorzuweisen oder den Nachweis über das Zutreffen einer Sonderregelung zu führen.“

Zentrale Aufgabe für das Gebiet „Schloss und Umgebung“ sei die Reduzierung von Park-Such-Verkehren zum Rathaus, indem man Parkraumraumkapazitäten Rathaus am Ring anzeigen (dynamisch „Frei/Besetzt“) solle. Für die Marktstraße wird dieser Ansatz nicht einmal versucht, weil hier der Parksuchverkehr, der laut Aussage des Verkehrsplaners im Sanierungsbeirat massiv störe, gar nicht als Problem wahrgenommen wird, denn hier soll ja eine Durchfahrtsstraße bestehen bleiben und keine Verkehrsreduzierung vorgenommen.

Auf dem Kirchplatz und in der Nordertorstraße solle ein „Gastronomieschwerpunkt“ erhalten und womöglich ausgebaut werden. Im Erschließungskonzept für den Bereich „Marktstraße/nördliche Rathausstraße“ wird ausdrücklich festgehalten, es sei die Innenstadtquerung für den Pkw-Verkehr über die Marktstraße vorzusehen, ebenso der Erhalt der Kurzzeitparkplätze entlang der Marktstraße. Wie dies mit der Reduzierung des Verkehrsaufkommens und dem Gastronomieschwerpunkt auch in der Nordertorstraße zusammengehen soll, weiß wohl nur der Bürgermeister. Und inwiefern dies nur eine vage Vorfestlegung sein soll, die sich später immer noch ändern lasse, bleibt in alle Ewigkeit das Geheimnis des Ratsherrn Jürgens.

An vielen weiteren Stellen bleibt der Rahmenplan seltsam vage.

Das Einzelhandelskonzept bestätigt auf Seite 89 die recht gute Stellplatzsituation in der Winsener Innenstadt:

Insgesamt stehen im Untersuchungsraum der Innenstadt Winsen (Luhe) 1965 Pkw-Stellplätze zur Verfügung. Den rund 2000 der Innenstadt zugeordneten Parkplätzen stehen rund 18560 Quadratmeter Verkaufsfläche gegenüber. Laut der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen sollte je 30 bis 40 Quadratmeter Verkaufsfläche ein Stellplatz zur Verfügung stehen. Konservativ gerechnet bedeutet dies eine Stellplatznachfrage in Höhe von rund 622 Stellflächen. In der Innenstadt würden demnach noch rund 1380 Stellplätze für Anwohner und Beschäftigte der Betriebe zur Verfügung stehen.

Man sollte dabei bedenken: „Konservativ gerechnet“ bedeutet eine hohe Stellplatzanzahl, der empfohlene Bereich liegt bei etwa 465 bis 620 Stellplätzen. Und: Viele Anwohner benötigen keinen Parkplatz tagsüber, wenn die Geschäfte geöffnet haben und die Mitarbeiter vor Ort sind. Eine Schwierigkeit ist allerdings, dass diese Überlegung Geschäfte um des lieben Friedens willen dazu verleiten kann, früher zu schließen, damit Kunden und Mitarbeiter nicht in Konflikte mit Anwohnern um Parkplätze geraten. Insofern ist wohl von einem Angebot von rund 1500 Parkplätzen für Anwohner auszugehen, was nicht genügt, wenn die Innenstadt als Wohnstandort gefördert werden soll. Einer Ausweitung des Stellplatzangebots können sich die GRÜNEN daher durchaus anschließen.

Alle Zitate wurde redaktionell überarbeitet und grammatische, orthografische und orthotypografische Fehler stillschweigend korrigiert, Abkürzungen aufgelöst.